KF-06 - Entlang dem Land der Skipiraten - Juni 2010

 

verfasst 2010 - geändert am 08.01.2011


Inhalt

1 - Start: 23.06.2010, 08.00 Uhr
2 - In der Nacht auf Kajaktour und die Überraschung am Morgen
3 - Der zweite Tag
4 - Ein Tag der Ruhe und dann der Süden Albaniens
5 - Ein wenig Statistik

Wenn man eine Zeit lang die Küsten des Mittelmeers bereist, explizit bepaddelt hat, ist man eigentlich auf die meisten außergewöhnlichen Vorfälle vorbereitet und weiß wie man sich zu verhalten hat und zu welchen Leistungen man selbst fähig ist. Heuer geriet ich durch außergewöhnliche Umstände an Albaniens Küste in eine Situation, die mir die Grenzen meiner Körperkraft aufzeigte. Da kamen im ersten Abschnitt zwei Tage und eine Nacht im Kajak zusammen, nur von einer kurzen Anlandung unterbrochen.

Leider hatte mein Photoapparat ein paar Tage vor Antritt dieser Tour Seewasser geschluckt und es überhaupt nicht vertragen. Er fand sein Grab in einer Mülltonne auf der Insel Susak in Kroatien. Deshalb kann dieser Bericht nicht mit Bildern aufwarten.

1 - Start: 23.06.2010, 08.00 Uhr

Ich brach an der Südspitze von Montenegro von einem Ferienlager am Grenzfluss Bojana auf, um kurz vor Durres an einem einsamen Strand zum ersten Mal in Albanien zu übernachten. 4 Tage war ich in dem Camp wegen Sturm festgesessen. Am fünften beruhigte sich die Adria, so dass ich nach dem Frühstück um 08.00 Uhr starten konnte.

Einer der Rettungsschwimmer, mit denen ich mich auf englisch die Tage zuvor über Wetter, Strömungen und ihrer Nachbarland Albanien unterhalten hatte, half mir beim Einbooten. Weil die Brandung immer noch recht hoch war, schleifte ich das Boot nicht ganz ins Meer, sondern ließ das Heck an Land. Mein Helfer hielt den Bug senkrecht zu den Wellen, damit ich beim Einsteigen durch das ablaufende Wasser nicht quertrieb. War alles dicht, gab ich ihm das Zeichen und er zog den Kajak ins Wasser. Drei Brandungswellen musste ich durchbrechen, dann war ich im ruhigeren Wasser. Noch einmal die Brandung  mit „Thanks!“ überbrüllen, noch einmal winken - dann war ich wieder auf Tour – wieder für mich allein.

Knappe 50 km Luftlinie waren es bis zum Bishti i Palles, dem Kap, hinter dem Durres, der größte Hafen Albaniens lag. Weil ich das Kap nicht sah, steuerte ich nicht den direkten Kompasskurs, sondern hielt mich ein wenig östlich in Richtung auf Kepi i Rodonit. Dieses Kap lag sichtbar halb backbord vor mir. Weil die Dünung immer noch stark war, ich konnte über die hohen Wellen gerade noch darüber hinwegsehen, ging ich lieber auf Nummer sicher. Eigentlich hätte ich nichts befürchten müssen, denn die Dünung versetzte mich sowieso in Richtung Küste.

Kepi i Rodonit passierte ich in einem Abstand von rund 3,5 km und paddelte dann in Richtung Bishti i Palles, das als Landzunge sichtbar geworden war. Je näher ich kam, um so mehr schob sich  die Küstenlinie auf das offene Meer hinaus und an mir vorbei. Ich musste aufpassen, dass ich nicht in die Bucht geriet und wieder zurückpaddeln musste. Endlich kamen keine dunklen Punkte mehr am Horizont zum Vorschein, sondern es zeichnete sich langsam das Kap ab, erhob sich aus dem Wasser. Die Flecken, die Anfangs wie Inseln oder Felsen im Meer lagen, waren die Spitzen des Kaps, dessen Silhouette wie die Zacken einer Säge aussahen.

Das Kap war militärisch schwer befestigt. Überall ragten Bunker empor, schauten mich die Schießscharten der MG-Nester an. Unten am Strand erhoben sich nahezu alle 100 m drei olivgrüne Pilze aus Beton, Schützenstellungen die zur Befestigungslinie der gesamten Küste Albaniens gehörten. Die Szenerie wirkte auf mich bedrohlich. Als ich aber um das Kap gepaddelt war, lachten mich manche dieser Pilze in bunten Farben an. Scheinbar hat Albanien mit seiner „Einigelung“ gebrochen und die Bevölkerung geht es jetzt an, sich aus ihrem militärischen Korsett langsam zu befreien, mit bunten Farben. Man muss sich das vorstellen: ungefähr 300 km Küste, alle 100 m eine Stellung mit drei Schwammerl, das sind 9.000 Betonpilze insgesamt und das in noch meist unberührter Natur, an wundervollen Stränden. Wieviel Farbe die Albaner da verstreichen müssen?

Nach dem Kap entdeckte ich in der Bucht in der ich mein Lager aufschlagen wollte, eine noch nicht geöffnete Beachbar und bootete dort gegen 18.00 Uhr aus. Ich hatte gerade den Kajak versorgt, als ein Mann aus dem Nichts plötzlich aufgetaucht war. Klein, riesiger Schlapphut, Karl May lässt grüßen. Nur der Schießprügel fehlte. Dafür war er mit einem Handy bewaffnet, mit dem er mir andeutete, ich solle verschwinden. Demonstrativ wählte er einen Nummer und diskutierte mit seinem Gesprächspartner.

Geschult im Umgang mit den Einheimischen auf dem Balkan setzte ich sofort mein bestes Lächeln auf und wünschte ihm mit einem Handschlag guten Tag. Sichtlich irritiert erwiderte er verlegen meinen Gruß. Dann fragte ich ihn mit meinem „Bavarian English“, ob er diese Sprache auch spreche. Die Flut der albanischen Wörter konnte ich allerdings nicht entziffern. Ich vernahm nur manchmal „italiano“ und „militaria“. Scheinbar sprach er italienisch, was allerdings ich nicht beherrschte. Dann krempelte er seinen Pullover am Bauch hoch und auf dem darunter befindlichen T-Shirt prangte in Brusthöhe auf italienisch: POLIZIA.

Sofort schaltete ich um und erkannte den Wächter der Beachbar als Amtsperson an. Ich zeigte mich leicht unterwürfig, deutet aber mit der internationalen Hand- und Gebärdensprache an, dass ich hier übernachten wolle. Mit den Worten seiner Hände stimmte er aber nicht zu. Zwischenzeitlich betrat eine andere Person die Bühne. Die war ebenfalls ein Polizist, allerdings ein waschechter, mit sauberer, gebügelter Uniform. Polizist 1 ging zu Polizist 2 und informierte ihn vermutlich über den Stand seiner bereits durchgeführten Polizeioperation. Dann trat Polizist 1 ab und Polizist 2 auf mich zu.

Die Begrüßungsszene wiederholte sich und ich erkannte, dass auch der offizielle, im Staatsdienst stehende Polizist irritiert war. Er konnte wenigstens neben dem obligatorischen Italienisch auch ein paar Brocken Englisch. Jetzt erfuhr ich, dass dieser Strand angeblich militärisches Gelände sei und ich ihn verlassen müsse. Ich fragte lieber nicht, ob dann die nagelneue Strandbar nur für die Offiziere der albanischen Armee errichtet worden war. Auch er ließ keinen Zweifel daran, dass ich hier nicht übernachten könne. Da es noch hell genug war, versprach ich ihm, alles wieder zusammenzupacken und nach Durres zu paddeln, um mich dort einzuklarieren, das heißt, offiziell einzureisen mit allen Passformalitäten. Komischerweise verlangte der Polizist nicht meine Papiere. Ich bemerkte aber, dass er über meinen Entschluss sichtlich erfreut war. Vermutlich wollte er keinen Ärger und Arbeit mehr haben, jetzt so spät am Nachmittag, vermutlich so kurz vor seinem Dienstende.

Er wartete noch bis ich begonnen hatte, meine Habe in die Packsäcke zu stopfen und in die Luken zu ver- stauen. Dann trat er von der Bühne ab und ging den Fahrweg hoch, der aus der Bucht führte.

Die Lukendeckel waren gerade verschlossen, da bemerkte ich Polizist 1, den Mann mit dem riesigen Schlapphut erneut zum Strand kommen. Alle Erinnerungen über Überfälle, Raub und Totschlag kamen wieder hoch, die mir auf meinen früheren Fahrten von den Griechen der Ionischen Inseln so plastisch erzählt worden waren und mich immer wieder abgehalten hatten, die albanische Küste zu befahren. Ich drehte mich zu dem Skipetaren um und ... er drückte mir eine Dose Sprudel in die linke Hand, reichte mir dann die rechte und sagte mit einem breiten zahnlückenhaften Lächeln: „Arrivederci!“ Dann verschwand er wieder in das Nichts.

Ich war sprachlos, stammelte ebenfalls: „Arrivederci!“ Niemals hätte ich so eine nette Geste erwartet. Oder war es nur ein Dankeschön, dass ich ohne mit ihm zu streiten, den Stand wieder verließ?

Die Sonne war gerade mit einem leuchtenden Gelb versunken, als ich an einer Klippe vorbeipaddelte und querab Durres erblickte. Die Hafen- und Straßenbeleuchtung war bereits angegangen. Eine moderne Stadt lag da in der Bucht, deren Häuserfronten sich immer weiter an den Stränden entlangfraßen. Wo hätte ich da übernachten sollen?

Es war Vollmond, der Himmel gering bewölkt, leichter Wind kam von West. Auf die Dünung setzten sich Kräuselwellen. Hunger hatte ich keinen, dafür hatten die Köche des Restaurants auf dem Camp in Montenegro zur Genüge gesorgt und die leeren Wasserflaschen in der Sitzluke hatte ich zum Glück schon vorher am Strand gegen volle ausgetauscht. Während meines Zwangsaufenthalts hatte ich auch genügen Zeit, mir jede Einzelheit von Albaniens Küste einzuprägen.

Ich schaute hinüber zum Kepi i Lagjit. Das Leuchtfeuer war noch nicht gezündet, aber in der späten Dämmerung konnte ich das Kap deutlich ausmachen. Der Mond beleuchtete es schemenhaft, es würde auch in der Nacht noch zu sehen sein. Rund 17 km waren es über die Bucht. In gut drei Stunden würde ich drüben sein. Dann wäre es ungefähr Mitternacht. - Ich paddelte los.

2 - In der Nacht auf Kajaktour und die Überraschung am Morgen

Ich hatte mich entschieden, ich werde die Nacht durchfahren. Hafenstädte standen sowieso nicht hoch in meiner Gunst. Lieber schippere ich in der Nacht auf dem Meer herum, als sich in einer Hafenstadt die Nacht um die Ohren schlagen zu müssen, die obendrein nicht gerade den besten christlichen Ruf aufweist. Manche Reiseberichterstatter beurteilen Durres heute so, wie der Apostel Paulus die antike Hafenstadt Korinth in seinen berühmten Briefen.

Bei einer Nachtfahrt muss man nicht nur die Augen offenhalten, sondern auch die Ohren spitzen. Die absolute Gefahr geht von den großen und kleinen Schiffen mit Diesel- oder Benzin-Motoren aus, weil die einen wegen ihrer Größe uns nicht erkennen können, die anderen wegen ihrer Ignoranz den Paddler nicht sehen und hören wollen oder wegen ihrer Neugier mit ihren „Bonzen-Cabin-Cruisern“ „fullspeed“ so nahe an uns vorbeidonnern, dass bei nicht geschlossener Spritzdecke der Kajak volllaufen kann, trotz der permanenten Betätigung der angeblich weitreichenden Signalpfeife, was ich des Öfteren schon erlebt habe. Der Kajakfahrer, die kleinste Einheit auf dem Meer, ist ebenso gefährdet, wie Fußgänger und Radfahrer im Straßenverkehr. Wer da nicht selber aufpasst, ist „verratzt“. Wenn mir dieser Mangel aber bewusst ist, dass ich der Schwächste bin, muss ich auf jeden Fall zurückstecken und mich zumindest von den großen Pötten fernhalten. Ich selbst bin derjenige, der auf sich aufpassen muss, was bei uns im Outdoorbereich eigentlich eine Binsenweisheit ist.

Zugegeben ich war sehr leichtsinnig, denn mein Boot besaß keine Beleuchtung. Aber ich war mir dieses Mangels sehr bewusst und deshalb extrem vorsichtig.

Immer wieder blickte ich zurück nach Durres, ob nicht ein Schiff den Hafen verließ, das dann auf mich zufahren und mich rammen könnte. Aber die Seeleute schienen sich lieber in den Hafenkneipen zu amüsieren, als dass sie es darauf anlegten, einen einsamen Paddler zu den Fischen zu schicken. Ich schaute mir die Lichter auf dem Meer an, die von Fischerbooten  stammten und musterte den Frachter, der gerade auf der anderen Seite der Bucht an mir vorbeizog, um dann hinter dem Horizont, den ich im Mondschein als eine feine Linie erkannte, zu verschwinden.

Mein Kompass war nicht beleuchtet, in der Nacht also nicht zu gebrauchen. Ich musste mich deshalb anderweitig behelfen. Das Leuchtfeuer von Kepi i Lagjit, was so viel wie Kap von Lagjit bedeutet, war immer noch nicht zu sehen und ich machte mir Gedanken, vielleicht vom Kurs abgekommen zu sein. Dabei war das Kap als Silhouette zwar sehr schwach zu erkennen, aber noch deutlich gegen den Himmel abgesetzt. Nein, vom Kurs bin ich nicht abgekommen. Sicherheitshalber prägte ich mir die Lichter in der Nähe des Kaps ein, die von Häusern oder Straßenlaternen stammten, damit ich mich orientieren konnte, falls der Mond sich hinter der zunehmenden Bewölkung ganz verstecken würde und ich das Kap nicht mehr hätte orten können.

Halb backbord machte ich ein großes Schiff aus, das seine Prachtbeleuchtung angeschaltet hatte, sich aber nicht von der Stelle rührte. „Es wird vor Anker liegen“, dachte ich, beobachte aber den Lichterkranz misstrauisch weiter. Langsam näherte ich mich und sichtete dann erstaunt eine Ölplattform, mitten in der Bucht von Durres. Ich hörte die Pumpen und die Generatoren singen. Als ich vorbeipaddelte, zeichneten sich sogar einzelne Aufbauten und Container im fahlen Mondschein ab, die möglicherweise als Wohnungen, Büros und Maschinenräume dienten, überlagert von dem grellen Licht der Lampen. Langsam verschwand die Plattform hinter mir und die Geräusche nahmen ab, dafür andere zu - die Brandung von Kepi i Lagjit.

Der Mond hatte schon die Hälfte seines Weges hinter sich gebracht und versteckte sich jetzt manchmal hinter hohen Wolken, die der Wind von Westen auf das Land zutrieb. Ich erinnerte mich, dass die Sonne hellgelb untergegangen war, ein untrügliches Zeichen für Wind. Ich selber verspürte am Meer zunächst einen leichten Windhauch von Osten, der Landwind hatte eingesetzt.

Das Kap war jetzt wie eine schwarze Wand deutlich zu erkennen, auch wenn der Mond hinter den Wolken verschwunden war. Vor mir hörte ich die Brandung nun eindringlich rauschen, ja brüllen und konnte sie wenig später auch sehen. Die immer noch hohe Dünung peitschte die Wassermassen die Klippen hoch, oder brach sich im flacheren Wasser der Kapspitze. Ich paddelte jetzt nicht mehr auf das Kap direkt zu, sondern hielt auf das Meer hinaus, um genügen Abstand von den Felsen im Küstenbereich zu bekommen.

Es musste gegen Mitternacht gewesen sein, als ich das Kepi i Lagjit passierte. Gespenstisch tauchte auch plötzlich der Leuchtturm an Backbord auf. Aber das Licht brannte nicht. Waren die Lampen ausgeschaltet oder war der Leuchtturm stillgelegt? Ich konnte nur Vermutungen anstellen. Angesichts des Hafens von Durres, der von Fähren aus Italien, Kroatien, Montenegro und Griechenland regelmäßig und von Frachtern aus ganz Europa häufig angelaufen wird und dessen Schiffsverkehr auch mit Sportbooten ständig zunimmt, hat der Leuchtturm seine Bedeutung sicherlich nicht verloren. Also dürfte es sich eher um einen technischen Defekt gehandelt haben, der mit der vorherrschenden Mentalität des Balkans irgendwann einmal behoben wird.

Ich war jetzt beruhigt. Die Bucht mit dem Hafen von Durres lag hinter mir. Von Schiffen ging jetzt keine Gefahr mehr aus. Vor mir lagen rund 35 km Sandstrände bis zum Fluss Seman, dessen Mündung durch das Geschiebe wie eine Halbinsel in das Meer ragte und sich ständig und sehr schnell verlängerte und veränderte. Ich rechnete mit 7 Stunden Fahrzeit und dürfte dann am Morgen dort ankommen.

Gemächlich glitt der Kajak in der langen Dünung vorwärts. Ich genoss das sich sanfte Heben und Senken des Bootes. Der Mond war wieder um ein Stück auf seiner Bahn weiter gewandert und stand jetzt auf halb steuerbord, also halbrechts von mir. An der Küstenlinie orientierte ich mich an den Lichtern der Häuser, Strandbars und Fischerhütten, einmal an dem Lichterhaufen einer Siedlung. Ich wusste, solange die Lichtpunkte auf der Backbordseite waren, steuerte ich den richtigen Kurs. Wenn keine Lichter an der langen Flachküste beobachtet werden konnten, weil die Agrarflächen bis zum Strand reichten, hörte ich auf die Brandung links von mir. Auch die Sternbilder halfen dann, grob meine Richtung einzuhalten. Sie mussten aber von Zeit zu Zeit korrigiert werden, weil sie im Laufe der Nacht, so wie der Mond auch, nach Westen wanderten.

Ich setzte einen Paddelschlag nach den anderen in das Wasser, freute mich, dass es so einfach ging, kontrol-lierte gelegentlich meine Fahrtrichtung und ließ den bisherigen Verlauf meiner Reise Revue passieren. Der Wind frischte etwas auf, die Wellen auf der Dünung stiegen an. Es war aber immer noch eine angenehme Fahrt.

Weit vor mir entdeckte ich halb steuerbord weiße Lichter. „Das wird ein Fischerboot sein“, vermutete ich und paddelte weiter. Mich wunderte, dass die Lichter relativ schnell immer näher kamen. Fährt der Trawler auf mich zu? Nein, ich hatte den Eindruck dass sie gleichweit entfernt blieben. „Gut, dann wird er auf das Meer hinaus seine Netze schleppen und mich wahrscheinlich an Steuerbord passieren. Welche Positionslampe müsste ich sehen? Grün oder Rot? Wenn ein Schiff auf mich zu- und an Steuerbord vorbeifährt, war es das Licht auf der rechten Seite“, mit solchen Gedankenspielen lenkte ich mich von der Eintönigkeit der Nachtfahrt ab.

Schnell ratterte ich meinen selbst erdachten Vers herunter, mit dem ich mir die Farben der Positionslampen auf den Booten merken konnte, nach dem Motto: Je dümmer die Sprüche, desto leichter das Einprägen: „Säe grünen Rasen um des Bordells rote Laterne.“ (Säe = Steuerbord, Rasen = rechts, Bordell = Backbord, Laterne = links) Ich müsste also ein rotes Licht sehen. Aber ich sah keines!

Ich suchte den Mond hinter den Wolken. Der stand mir plötzlich im Rücken! Ich horchte bewusster auf die Brandung und die hörte ich ... direkt vor mir!

Jetzt war mir alles klar. Ich musste in eine Strömung geraten sein, die den Kajak unmerklich gedreht hatte und mit der ich direkt auf das Ufer zupaddelte. Ich erinnerte mich, dass einige große Flüsse an diesem Strandabschnitt in das Meer mündeten, die solche Strömungen verursachen könnten. Da es noch ein Stück bis zum Strand und zur Brandungszone war, drehte ich nur soweit ab, dass die Lichter, es waren in Wirklichkeit Hauslaternen, halb backbord vor mir lagen und der Mond steuerbord querab.

„Jetzt kann mir nichts mehr passieren, ich fahre wieder von der Küste weg, in einem spitzen Winkel auf das Meer hinaus“, bestätigte ich mir selbst, lehnte mich zurück und paddelte gemächlich weiter. Es dauert nicht lange und ich höre zu dem normalen Brandungsgeräusch auf der linken Seite plötzlich von halb steuerbord ein Rauschen, das immer stärker anschwillt und sehe im Mondlicht wie ein Brecher direkt auf mich zurast - und mich voll eindeckt. Die Wassermassen stürzen über mir zusammen. Zum Glück habe ich das Paddel im Wasser und ich kann mich gerade noch abstützen. Der Kajak dreht nach dem Durchgang der Brandung langsam seinen Bug in die Wellenfront. Durch meine lockere Wanderfahrer-Sitzposition mit nicht in den Schenkelstützen allzufest verkeilten Knien, schwankt der Kajak gefährlich. Im ersten Moment schießt mir der Gedanke durch den Kopf: „So, jetzt liegst du drin, im Bach!“ Aber durch die Paddelstütze stabilisiert sich der schwer beladene und dadurch gutmütig gewordene Kajak. Der erste Spuk, der mich völlig unvorbereitet traf, war vorbei.

Hätte mich der Brecher direkt von der Seite erwischt, wäre ich bestimmt in den Genuss eines Mondscheinbades gekommen, hätte dann eine romantische Schwimmpartie durch die nächste Brandung bis zum Strand eingelegt und dabei den vollgelaufenen Kajak sportlich nachgezogen,anschließend das zuvor fachmännisch entwässerte Boot liebevoll an Land getragen, mich zum Schluss im heißen Sand der Mitternachtshitze geaalt und die nasse Kleidung im warmen Mondschein trocknen lassen. Aber Poseidon, der Gott des Meeres, hat mir, gehässig wie er nun mal ist, dieses Vergnügen nicht gegönnt …

Auf den zweiten Brecher war ich vorbereitet. Der machte mir wenig Probleme, obwohl er kurz vor mir zu brechen begonnen hatte und mich erneut mit einem Wasserschwall übergoss. Dann war ich durch! Die Brandung lag hinter mir.

Was war geschehen? Ich musste über ein Flachwasser gepaddelt sein. Wahrscheinlich war es eine Sandbank, über der sich die hohen Wellen ebenso brechen konnten, wie in der Brandung am Strand. Vermutlich hatte ich zunächst deshalb nichts bemerkt, weil die niedrigen Wellen über die Untiefe ohne zu brechen gelaufen waren, und ich dann in die hohen Wassertürme geraten bin. Bei einer Rekonstruktion des Vorgang später auf der Karte, musste es an der Mündung des Flusses Shkumbinit gewesen sein. Denn nur an Flussmündungen können durch Strömungen und Wirbelbildung solche Ablagerungen durch das Geschiebe entstehen.

 

Patschnass „schaufelte“ ich auf das Meer hinaus, weiter weg von der Küste, wieder auf sicheren Abstand bedacht. Jetzt war ich vorsichtiger geworden. Der Mond ging rötlich gefärbt weit im Westen unter. Es war noch rund eine Stunde bis zur Dämmerung.

Ich begann in meinem nassen T-Shirt zu frösteln. Damit ich wieder warm wurde, erhöhte ich die Schlagzahl. Um mich abzulenken, setzte ich das Paddel sauber in das Wasser ein, achtete darauf, dass es ohne viel Spritzer auch wieder herauskam, versuchte einen sauberen Fahrstil einzuhalten. Allmählich erwärmte sich mein Körper.

Nach einer knappen Stunde hörte das Frösteln auf, trotz des auffrischenden Windes, den ich jetzt von See her verspürte. Die Wellen wurden höher und die Brandung an Backbord lauter. Aber draußen auf See ließ es sich noch bequem aushalten. Ich schätzte meine Position grob auf einen Kilometer vom Ufer entfernt. Da lag ich weit außerhalb der Brandung, auf der sicheren Seite.

Es wurde heller, die Dämmerung brach an. Langsam besserte sich die Sicht, die Konturen des Ufers traten deutlicher hervor. Ich konnte bald die Brandung querab an Backbord sehen und auch brüllen hören. Bald danach nicht nur auf der linken Seite, sondern zusätzlich auch wieder von vorne! Riesige Brecher überschlugen sich. Manchmal auch zwei, drei Wellenkämme hintereinander, eine Zeitlang Ruhe und das Ganze wiederholte sich erneut. Ein grandioses Schauspiel - und ich saßin der ersten Reihe!

3 - Der zweite Tag

Die Nachtfahrt war beendet, ein neuer Tag angebrochen. Leicht übermüdet nach rund 24 Stunden im Kajak, aber zuversichtlich, weil die Sonne bereits ihren Dienst verrichtete und mich aufwärmte. Bei Übermüdung spürt man die Kühle intensiver. Außerdem fallen die gefühlten Temperaturen durch den Wind zusätzlich. Wenn man sich die Tabellen des Wind-Chill-Faktors ansieht, muss man bei 3 - 4 Beaufort schon bis zu 10 Grad Celsius von der gemessen Temperatur abziehen.

In der Morgendämmerung war ich wie erwartet an der Mündung des Flusses Seman angekommen. Ich sah die Halbinsel direkt vor mir, die das Geschiebe des Flusses rund eineinhalb Kilometer in das Meer hinausgetrieben hatte. Die durch den Seewind mit rund 3 Beaufort angefachte sehr hohe Dünung lief an dem nördlichen Rand der Halbinsel entlang bis zum Strand. An den aufgeschwemmten Sandbänken brachen sich die Wassermassen und entlang der 1,5 km löste ein Brecher den anderen ab.

Ich war von diesem Entertainment der Natur fasziniert und merkte nicht einmal, dass ich immer näher zu diesen riesigen Brechern paddelte. Vielleicht 100 bis 200 Meter zuvor wurde mir die heraufziehende Bedrohung sichtlich bewusst und ich drehte einen rechten Winkel nach steuerbord und paddelte mit Kompasskurs 270 Grad einen knappen Kilometer direkt nach Westen. In einem sicheren Abstand passierte ich die Mündung des Seman. Auf der Südseite wiederholte sich ein ähnliches Intermezzo.

Bei Tageslicht verlief die weitere Fahrt relativ harmlos, immer mit sicherem Abstand zur Küste. Dort dehnten sich lange Sandstrände aus. Für uns Küstenpaddler eher trostlos. Ein einziges einsames Hotel glotzte mich an. Aber der „Pionier“ der touristischen Erschließung wirkte verlassen, das Marketing in Albanien schien noch in den Kinderschuhen zu stecken. In einigen Jahren, werden dann vielleicht Massen von Urlaubern auch Albanien heimsuchen, wie überall an der Adria. Dann wird diese abgelegene Gegend im Herzen Europas für Investoren sicher lukrativ werden. Der „Pionier“ könnte dann als Wahrzeichen und historisches Gebäude in die Geschichte der Skipetaren eingehen.

Die Mündung des Flusses Vjoses hatte sich wie die des Seman ebenso in das Meer hinausgeschoben, nur nicht so weit. Als ich um die Mündung herumpaddelte, sah ich im Dunst die Insel von Sazanit. Sie hieß Ishulli i Sazanit. Ich wusste aus der Karte, dass diese Insel der Halbinsel von Karaburunit mit Namen Mali i Karaburunit vorgelagert war. Und ich hatte mir auch eingeprägt, dass am Beginn der Halbinsel auf der Meerseite einige Buchten lagen, die zum Übernachten für meinen Bedarf sehr geeignet wären. „Die Halbinsel muss der hohe, kahle Bergrücken links von der Insel sein“, erklärte ich mir in einem Selbstgespräch.

Die Sonne schien heiß vom wolkenlosen Firmament, wärmte, ja heizte mich auf, alle Kälte und Nässe waren verflogen. Ich schätzte die Zeit auf rund 10.00 Uhr. Ich wollte nach der langen Fahrzeit eine schöne einsame Bucht für mein nächstes Lager, keinen eintönigen Sandstrand wie hier, noch dazu in der Nähe von Vlore, der nächsten großen Hafen- und Bezirksstadt, die sich am Ende der Lagune des Vjoses und am Beginn der Bucht, die die Halbinsel Karaburunit bildete, wie ein Moloch ausbreitete. Mir blieb nur eins: weiterziehen, vor Sand und Menschen fliehen.

Ungefähr 3 Stunden benötigte ich bis zur Insel und eine Stunde an der Insel entlang. Diese Insel und auch die gegenüberliegende Halbinsel waren Truppenübungspläze und für Zivilpersonen gesperrt. So stand es in der Karte. Und tatsächlich, überall militärische Bauten: Hafenanlage, Bunker, Kasematten, Kasernengebäude, aber die Insel war unbewohnt. Ich hatte Glück: keine Soldaten, kein Manöver, keine Scherereien. Nichts rührte sich als ich an ihrer Ostseite entlangfuhr. Auch die Halbinsel schien menschenleer zu sein: kahl und trostlos, nicht einladend. Nicht einladend sollte sie in der allgemein gebräuchlichen Militärstrategie vermutlich auch sein. So hält man sich am leichtesten Zivilisten vom Leibe.

Meine nächste Aktion bestand in der Durchfahrt der Passage zwischen Ishulli i Sazanit und Mali i Karaburunit, damit ich wieder an die Außen-, an die Meeresseite der Halbinsel gelangte, die ich dann nach Süden hinunterpaddeln wollte. In dieser Lagunenlandschaft vor Vlore zeigte sich das Wasser mattgrün und mit Sand und Schwemmgut aus den zahlreichen Flüssen satt angereichert.

Die Passage war knapp 5 km breit. Ich lag mit dem Kajak an der Südostecke der Insel und schaute hinüber zum Nordwestkap der Halbinsel, meinem Ziel, dem Kepii Gjuhezes. „Kein Problem“, redete ich mir ein. „Also los!“

Als erstes blies mir ein Wind in Sturmstärke entgegen, der durch die Düsenwirkung zwischen der 250 m hohen Insel und der rund 450 m hohen Halbinsel von Nordwest auf West abgelenkt und dann durch den Sund hindurchgepresst wurde. Das wäre weiter nicht so schlimm gewesen, gegen den Wind konnte ich noch ankommen und paddelte mit kräftigen Schlägen bis zur Mitte der Passage.

Aber dann bemerkte ich die Strömung und bekam sie auch zu spüren. Sie wurde zum Anschauungsbeispiel par excellence: Von der Seeseite drückte die Meeressrtömung klares dunkelblaues Wasser in die Passage, prallte gegen die Nordwestecke der Halbinsel, wurde nach Osten abgelenkt und nahm das grüne Lagunenwasser mit, trieb es ebenfalls nach Osten. Am Ende der Halbinsel bewegte sich in der Lagune ein riesiger Strudel, der bis hinüber zur Insel reichte und dort wieder nach Westen zurückgeführt wurde. Ich konnte den Wirbel und die restliche Wasserbewegung an der Nordostseite der Halbinsel durch die Farbmischungen ausgiebig und eindrucksvoll studieren. Diese Ausläufer des Kreisels hatten mich auch relativ schnell bis zur Mitte der Passage getragen. Aber dann war Schluss! Eine Weiterfahrt gegen die Strömung war unmöglich. Sobald ich in das dunkelblaue Wasser paddelte, trieb ich sofort nach Osten ab. Dagegen kam ich nach rund 30 Stunden im Boot nicht mehr an!

Ich paddelte jetzt der kreisenden Strömung folgend rund 2 km wieder nach Norden zur Steilküste der Insel zurück, dann nach Nordwesten den Klippen entlang und in gleicher Richtung hinaus auf die Adria. Trotz intensivem Paddelns trieb mich die Strömung wieder zurück zur Passage, genau auf das Kap von Gjuhezes zu. „Wenn ich zu weit nach backbord abgetrieben werde, gerate ich wieder in die starke Strömung durch die Passage und alle Mühe wäre umsonst gewesen“, fuhr es mir erschreckend durch den Sinn. Alle letzten Reserven mobilisierend, schaufelte ich den Kajak nach Westen, setzte mit aller Kraft das Paddel ein. In prekären Situationen, wenn es darum geht, das Boot auf Geschwindigkeit zu bringen und das Tempo beizubehalten, um von einer Gefahrenstelle wegzukommen, begann ich immer die Paddelschläge zu zählen: „1, 2, 3 ... 19, 20“ Dann begann ich erneut wieder mit 1, 2 ... Aber die Strömung war stärker. Unaufhaltsam versetzte sie mich in Richtung Kap. Das Einzige, was ich durch meine Kraftanstrengungen erreichte, war, dass ich an der Außenseite der Strömung blieb.

Aber ich hatte Glück: Nach rund 17 Zählpaketen von jeweils 20 Schlägen, erwischte ich vielleicht in einem Abstand vom Kap von nur 50 Metern, gerade noch eine kleine sich abspaltende Seitenströmung, die mich am Kepi i Gjuhezes vorbei in den Süden schob. Ich hatte es geschafft! Ich befand mich auf der Westseite der Halbinsel. Rund doppelt so lange wie vorgesehen hatte es gedauert, bis ich die Passage durchfahren hatte. Hätte mich jemand gesehen, welche Triumphgesten ich da mit dem Paddel vollführt hatte, er hätte sicherlich nur den Kopf geschüttelt, oder mir sogar den „Scheibenwischer“ gezeigt. Aber nach dieser erfolgreich abgeschlossen aber kräftezehrenden Aktion, wäre mir das völlig egal gewesen.

Die Weiterfahrt an der Halbinsel entlang war dagegen ein Kinderspiel. Da halfen mir Poseidon und Äolus. Scheinbar waren sie beeindruckt, dass ich die Durchfahrt doch noch geschafft hatte, vielleicht sogar gegen ihren Willen. Mit starker Strömung und kräftigem Wind von hinten erreichte ich nach 14 km bald den Beginn der Halbinsel und eine relativ schöne kleine Kiesbucht, die erste, die ich mir auf Google-earth“ bei der Planung ausgesucht hatte. Jetzt war ich nicht mehr wählerisch und fuhr in die Bucht hinein.

Durch die Ablenkung an den Klippen am Buchteingang waren die Wellen, die sich an dem schmalen Strand brachen, relativ niedrig. Ich schaute nach dem besten Ausbootplatz und entschied mich an der Südseite der Bucht nahe der Felsen. Ich paddelte an den Strand, riss meine Spritzdecke auf und stieg aus. Ich wollte, noch bevor die nächsten hohen Wellen anbrandeten, den Kajak ans Ufer ziehen. Aber nach den vielen Stunden im Boot, versagten mir Knie und Beine und ich plumpste kraftlos ins Wasser. Bevor ich mich wieder aufrappeln konnte, nahm die nächste Welle den Kajak mit und knallte das Heck gegen den Felsen. Die Widerwelle vom Felsen füllte die Luke mit Wasser. Der Kajak saß fest. Die beweglichen, leichten Teile wie Schwämme, Trinkflaschen, Fußpolster wurden ins Meer gespült und trieben im Kehrwasser. Erst mit den nächsten hohen Wellen, die den vollgelaufenen Kajak wieder anhoben, konnte ich das Boot vom Felsen wegziehen. Noch im Wasser kippte ich den Kajak zur Seite und ließ das meiste Wasser auslaufen. Dann zog ich ihn auf den sicheren Strand.

Die Sachen, die im Kehrwasser mit dem Seegras schwammen, sammelte ich ein. Nur der große Schwamm blieb verschollen. Dann besah ich mir die Schäden am Kajak: Das Steuerblatt war durch den Aufprall an dem Felsen in einen 45-Grad-Winkel verbogen, einige kleinere Schrammen im PE des Oberdecks erkennbar und überall Seegras. Eigentlich nicht ganz so schlimm wie ich vermutete, als ich es zuvor krachen gehört und es dann zunächst recht prekär ausgesehen hatte.

Poseidon war mir gnädig, dass es nicht verhängnisvoller ausgegangen war. Vielleicht wollte er mir heute nur einen kleinen Wink geben, dass in Bezug auf die Leistungsfähigkeit eines Menschen, das Alter doch eine gewisse Rolle spielt. Oder hatte sich Poseidon über meine Blasphemie an der Mündung des Shkumbinit  letzte Nacht doch ein wenig geärgert und mir dafür jetzt zum Trost einen nassen Ausstieg verpasst.

Es war 16.30 Uhr, als ich mit dem GPS-Empfänger meine Position festhielt. Die Bucht hieß Gjiri i Ariut. Ich war sehr erleichtert, nach 192,1 Kilometern und 32,5 Stunden mit nur einer kurzen Unterbrechung von vielleicht einer Stunde, müde und ausgepowert, aber froher Dinge, hier angekommen zu sein.

Am meisten beunruhigte mich das Ruder. Und sofort machte ich mich an die Reparatur. Ich sah mir die Rudermechanik an: Bis auf das verbogene Blatt schien alles in Ordnung zu sein. Auch meine eigene spezielle Befestigung des Ruderbeschlags am Heck des Kajaks, ein allgemeines Manko bei den Prijon-Booten, war nicht in Mitleidenschaft gezogen worden. Unverständlicherweise funktionierte sogar mein erster Reparaturversuch. Ich schaffte es, ohne das Steuerblatt zu demontieren, es wieder mit den Hand geraderzubiegen. Die Mechanik des Steuers war so stabil, dass nichts anderes darunter litt. Bis auf eine kaum sichtbare Verwindung des Aluminiums brachte ich es wieder gerade. Alles funktionierte einwandfrei, auch das Aufklappen und Absenken. Ich war wieder beruhigt. Das Blatt selbst werde ich zu Hause auf dem Amboss ausrichten, wenn das überhaupt erforderlich ist.

Der Aufbau des Lagers war schnell geschehen. Jetzt legte ich mich erst einmal auf die Matte und ruhte mich aus. Es war später Nachmittag. Die Sonne wärmte mich. Ich hatte noch Zeit, bis ich mich über die Reinigung des Kajaks hermachte. Ich entschied auch, morgen einen Ruhetag einzulegen.

Kurz vor Sonnenuntergang reinigte ich den Kajak, versucht das Seegras aus der Luke zu bekommen. Die Bucht war kaum mit Müll verseucht. Nur zwei große Wassertanks, die einmal dort aufgestellt waren, rosteten still vor sich hin. Ich musste lange suchen, bis ich eine Plastikflasche gefunden hatte, die ich mit der Schere zu einer Wasserschaufel zuschnitt. Dann wusch ich den Kajak außen ab. Das ging relativ einfach. Problematischer war es, das Seegras aus der Luke zu bekommen. Immer wieder spülte ich mit Wasser die Luke aus und immer wieder kamen von irgend welchen Ecken Seegras und Sand zum Vorschein. Als dann das Putzen in keinem erfolgversprechenden Verhältnis mehr zum Reinigungswert stand, gab ich auf.
 

4 - Ein Tag der Ruhe und dann der Süden Albaniens
 

Einen Tag hatte ich Liegezeit in der Bucht von Ariut. Den größten Teil des Tages verbrachte ich mit sonnen, relaxen, baden, frönte dem süßen Nichtstun. Nur mein Tagebuch auf meinem Antik-Notebook vervollständigte ich. Ich hatte ja über drei Tage zu berichten und es war für mich bestimmt nichts Langweiliges, das ich über dieTastatur in den Speicher geklopft hatte.


In der Frühe begutachtete ich nochmals den Kajak, ob ich gestern nichts übersehen hatte. Nein, alles war in Ordnung. Sogar die Kratzer und Druckstellen im Kunststoff, die durch den harten Felskontakt entstanden waren, hatten sich nahezu gänzlich regeneriert und ich musste lange suchen, bis ich die Stellen fand (Memory-Effekt des HTPE).

An meinem freien Tag erkundete ich gemütlich die Bucht. Nach Norden begann der Truppenübungsplatz. Nach der Karte lagerte ich gerade an der Grenze, aber schon auf öffentlichem, nicht militärischem Grund. Auf einer sturmflutsicheren Höhe der Bucht untersuchte ich eine Art Keller, abgedeckt mit einer Betonplatt und einer Einstiegsöffnung, die ich als militärische Einrichtung ansah, einem Bunker ähnlich, aber ohne Schießscharten.

Ein Stück weiter oben, einem steilen Pfad folgend, fand ich alte aufgelassene Stallungen. Weil das Hinterland der Bucht bis zum Bergrücken bewaldet und mit Macchia überwuchert, also kein Weideland, war, tippte ich auf Ställe für Esel oder Mulis die zum Transporteinsatz auf dem Militärgelände temporär belegt werden, wenn ein Manöver abgehalten wird. Neben den Stallungen war eine identische Anlage im Boden versenkt, wie ich sie in der Bucht gesehen hatte. Diese war bis zum Rand mit Wasser gefüllt. Es handelten sich also um eine Zisterne. Die untere musste womöglich undicht geworden sein und war deshalb leer.

Am Abfahrtstag lag der Kajak in der Morgendämmerung vollgepackt am Strand. Die Wellen brachen sich so stark, dass ich im Wasser nicht einsteigen konnte. In diesem Fall ist der Robbenstart die beste Lösung. Ich richtete den Kajak am Strand so aus, dass er senkrecht zur Brandung mit dem Bug soweit ins Wasser ragte, dass er nur von den hohen Wellen vorne angehoben wurde.

Die größte Gefahr bei diesem Start entsteht durch das ablaufende Wasser, wenn es eine starke Querströmung bildet, die den Kajak beim Einsteigen und Wassern mit dem Bug voraus parallel zur Brandung und zum Ufer abtreibt, insbesondere in der Startphase, wenn der Bug bereits schwimmt, das Heck aber noch auf dem Ufer festsitzt und keine ausreichende Wassertiefe zum paddeln zur Verfügung steht. Kommt man da nicht schnell genug vom Ufer weg, um gegen die Wellen paddeln und steuern zu können, hat man verloren. Liegt der Kajak einmal parallel zu Strand und Wellen, ist es nahezu unmöglich das schwer beladene Boot auf das Meer hinaus zu drehen. Man könnte ausprobieren, das Heck in die Strömung zu bringen und sich dann vom querlaufenden Wasser drehen zu lassen und so zu versuchen, mit dem Bug gegen die Wellen zu gelangen. Das klingt theoretisch sehr gut, ist in der Praxis aber kaum durchführbar, weil man gegen die seitliche Brandung kaum ankommt, die einen immer wieder an und auf das Ufer drückt. Ich habe oft den Eindruck, dass manche Empfehlungen von „Kajak-Experten“ noch nie unter realen praxisbezogenen Bedingungen ausprobiert worden sind. Als Solofahrer muss ich mir sehr genau überlegen, wie ich in einer schwierigen Situation ins Wasser komme.

Glücklicherweise stellte ich keine Querströmung fest. Das an den Strand brechende Wasser wurde nicht abgeleitet, verursachte dafür aber eine etwas höhere Brandung, wenn es direkt unter die nachfolgende Welle zurückläuft.

Während der Wellen-Niedrig-Phase stieg ich schnell ein und schloss die Spritzdecke, legte das Paddel auf der Luke griffbereit zurecht. Dann wartete ich geduldig auf die hohen Wellen. Wenn sie kamen und den Kajak vorne anhoben, stützte ich mich mit beiden Händen/Fäusten am Grund ab, ruckelte und drückte den Kajak in das Wasser. Das gelang nicht auf das erste Mal und so wartete ich die nächsten brauchbaren Wellen ab. Man kann auch auf einer Seite mit dem Paddel staken und auf der anderen mit der Faust nachhelfen, wenn das Paddel für solche Einsätze stabil genug ausgeführt ist. Paddel in Leichtbauweise, wie ich sie benutze, sind dafür eher nicht geeignet und für mich auch zu schade.

Sobald der Kajak im Wasser schwamm, stach ich mit ein paar kräftigen Schlägen durch die Brandung. Draußen auf dem offenem Meer kehrte dann schnell wieder Ruhe ein und ich machte mich zur Weiterreise fertig, klappe das Ruderblatt ins Wasser, zog meine Handschuhe an, paddelte gemächlich los.

Die ersten 25 km diese Tages bestanden aus Steilküste, durchbrochen mit einigen engen romantischen Buchten. Ich konnte aber nicht erkennen, ob diese Buchten am Ende eine geeignete Fluchtmöglichkeit bei Sturm besaßen, wenn die Wellen in die engen Buchten donnerten. So bildschön und anheimelnd diese Buchten für einen kurzen Aufenthalt auch sein mögen, für ein Nachtlager, immer mit dem Hintergedanken, bei aufkommender Brandung in der Falle zu sitzen, sind sie meiner Ansicht nicht geeignet. Ein leichter nördlicher Wind wehte an den Felsen entlang und erleichterte mir das Paddeln. Ich kam gut voran.

Irgendetwas kratzte unterm Sitz und ich konnte es nicht entfernen. Vermutlich war es Seegras, das der Wind beim Einsteigen in die Luke hineingeweht hatte. Es war einfach unangenehm. Da das Meer relativ ruhig war, öffnete ich die Spritzdecke, stützte mich seitlich am Boot ab und setzte mich hinten auf den Süllrand. Ich war gerade beim Sammeln der trockenen Seegrashalme, die sich durch ihre Rauheit überall festhaken konnten, als eine Welle den Kajak von der Seite leicht anhob und ich das physikalische Gesetz des labilen Gleichgewichts am eigenen Körper erfahren durfte. „Poseidon, Du bist ein richtiges Scheusal, Du ...“, schrie ich in die Stille des frühen Tages. Die restlichen „Koseworte“ fielen unter die göttliche Zensur oder gingen mit Geblubber im Seewasser unter, als ich mit dem Kajak ins Meer kippte. Dass ich ein Morgenbad genommen hatte, war an und für sich nicht so schlimm. Bedenken kamen mir, wieviel Wasser im Boot war, denn mir stand nach dem Verlust des großen Schwammes vorgestern beim Ausbooten, nur mehr ein winziger zur Verfügung.

Verärgert über meine eigene Dummheit, schwang ich mich in gewohnter Weise ins Boot. Zum Glück befanden sich nicht einmal ein halber Zentimeter Wasser darin. Die Lenzpumpe „rotzte“ nur ein paar müde Spritzer heraus. So begann ich die mühevolle Arbeit mit einem etwa faustgroßen Schwamm das Wasser aus dem Kajak zu tupfen. Während dieses Vorgangs hatte sogar die Sonne ihren Weg über die Klippen gefunden. Wenigstens wärmte und trocknete sie mich. Als ich nach vollbrachter Putzarbeit, es kamen erneut ein paar Grashalme zum Vorschein, die Spritzdecke schloss, spürte ich förmlich das hämische Grinsen des Meeresgottes im Nacken und sein schadenfrohes Gekicher im Wind, der sich an den Klippen rieb.

Die ersten Siedlungen tauchten auf, aber die Strände fielen so steil ins Meer ab, dass ich nur mit Paddelstütze aussteigen konnte. „Da entstehen ja riesige Dumper, wenn eine hohe Dünung an den Strand rollt oder bei Sturm“, dachte ich mir und verzichtete auf ein Anlanden.

Schon zwei Kilometer weiter, fand ich in der Ortschaft Dhermi einen schönen Kiesstrand und bootete aus, zog den Kajak ein wenig an den Strand hoch. Eine Familie sonnte sich bereits an diesem späten Morgen, die vermutlich in der oben auf der niederen Klippe stehenden Pension logierte. Ich ging zu der Familie und fragte sicherheitshalber auf englisch, ob dies ein öffentlicher Strand sei und ich hier eine kleine Rast einlegen könnte. Der Vater erklärte mir, der Strand sei zwar privat, aber er hätte gegen eine kurze Rast nichts einzuwenden. Der Sohn versuchte sogar seine Deutschkenntnisse auszuprobieren, was mich eigentlich sehr verwunderte. Ich hatte nicht erwartet, dass in den albanischen Schulen Deutsch als Fremdsprache angeboten wird. Sollte da eine Generation von billigen Fachkräften für Deutschland ausgebildet werden? Naheliegender wäre allerdings, dass Albanien ihre Leute selber dringend benötigt, um sie im zukünftigen Tourismusgeschäft einsetzen zu können.

Im Kajak war nun das restliche Wasser hinten an der Schottwand zusammengelaufen und ich hatte gerade begonnen, mit meinem Mikro-Schwamm das Boot gänzlich trockenzulegen, als ich von oben auf der Straße eine Trillerpfeife hörte. Ich achtete zunächst nicht darauf. Dann kam ein zweiter Pfiff. „Warum pfeift da einer zweimal?“, fragte ich mich insgeheim, machte aber trotzdem mit meiner Arbeit weiter. Erst beim dritten lange anhaltenden Triller schaute ich auf, weil es nun doch den Anschein hatte, ich sei mit dem Gepfeife gemeint.

Oben an der Straße stand eine schwarz gekleidete Gestalt: schwarze Hose, schwarzes Pistolenhalfter, schwarzes Hemd, schwarze Krawatte, schwarze Schirmmütze, schwarze Sonnenbrille, schwarze Socken, schwarze Schuhe. Das mit den schwarzen Socken und schwarzen Schuhen vermutete ich aber nur. Ich konnte sie zwar nicht sehen, aber nach all den anderen Farben seines imposanten Outfits, war eine ähnliche Farbe durchaus wahrscheinlich. Messingabzeichen zierten Brust und Mütze. Zu dieser Ausstattung, sie dürfte von Karl Lagerfeld in seinen Lieblingsfarben kreiert worden sein (auch nur meine Vermutung) würde ein Einwanderer aus Schwarzafrika den dazu farblich korrekt passenden Träger abgegeben haben. War es aber nicht, sondern ein hellhäutiger, durch den Kontrast sehr blass wirkender Albaner, dessen messingfarbenes Koppelschloss wahrscheinlich gerade noch am anderen äußersten Ende des schwarzen Ledergürtels einen Halt gefunden hatte. Dieser, wie ein „Offizieller“ aussehende Schwarze Sheriff - als U-Bahn-Wache in München wurde diese Spezies von Aufpassern, Überwachern und Möchtegern-Polizisten bereits vor 20 Jahren auf massives Drängen seitens der Bevölkerung entsorgt - deutete mir nun in der bereits gewohnten Weise in Wort und Gestik an, ich solle verschwinden.

Da der Abstand mindestens 20 m war und ich keine Lust verspürte den Felsen hochzuklettern, um meine taktische Begrüßungszeremonie anzuwenden, deute ich mit der Gebärdensprache an, er solle sich doch beruhigen. Den folgenden Wortschwall der mich durch die 20 m etwas gedämpft erreichte, konnte ich zwar deutlich hören, aber nicht verstehen. Ich sagte mit meinen Händen, dass ich etwas essen und trinken wollte, aber seinen Hände erwiderten: „Nein!“ und seine Arme: „Verlassen Sie sofort das Privateigentum!“ Ich startete einen neuen Versuch und zeigte auf die Sitzluke und machte die Handbewegung des Auswringens. Vergebens! Wieder händisch: „Nein!“ und seine Arme dieses Mal bedeutungsvoller: „Hau nun endlich ab!“ Um seiner Aufforderung Nachdruck zu verleihen, tätschelte er dann mit der rechten Hand liebevoll auf sein Pistolenhalfter. „O.K., jetzt habe ich wirklich alles verstanden“, murmelte ich in mich hinein, verzichtete auf einen dritten Anlauf und schickte mich demonstrativ zum Zusammenräumen an.

Als der Kajak fertiggepackt war, schaute ich zu dem Schwarzen Sheriff hoch. Der stand immer noch wie angewurzelt an seinem Fleck. Aber seine Handbewegungen fielen wesentlich milder aus, zeigten sogar Zufriedenheit. Seine rechte Hand deutete mir lässig an, in der Art: „Gut, aber jetzt steig ein und fahr los!“. Ich setzte mich in den Kajak, schloss die Spritzdecke und robbte in das Wasser. Ich winkte dem schwarzen Mahnmal zum Abschied zu, aber Obelisken winken nicht. „Macht nichts,“, dachte ich mir, „das habt ihr beim früheren Geheimdienst wahrscheinlich auch nicht gemacht, bevor man euch nach der Ära Enver Hoxhas geschasst hat. Höflichkeit und Kundenfreundlichkeit stehen bei diesen Zünften in totalitären Staaten nirgends auf der Welt an erster Stelle.“ Als ich kurz darauf noch einmal einen informativen Kreis drehte, war der „Schwarze Mann“ verschwunden - nach einer Generation, wenn die Geheimdienstleute durch natürliche Fluktuation aufgebraucht sein werden, aus Albanien vielleicht für immer.

Nach zwei Kilometern über die flache Bucht von Dhermi gepaddelt, entdeckte ich hinter einem Klippenvor-sprung einen kleinen Strand, den ich anlief. Er war wirklich einsam, keine Menschenseele und ... ich musterte sorgfältig den oberen Rand der Klippen ... auch kein martialisch overdressed „Man in Black“ irgend eines privaten Sicherheitsdienstes zusehen. Dort setzte ich dann meine unterbrochene Rast fort, pickte die allerletzten Grashalme aus der Sitzluke, aß und trank ein wenig, rief zu Hause an, gab wie jeden Tag meine Position durch.

Ich suchte auf der Weiterfahrt eine kleine Bucht für das Nachtlager zwischen den Ortschaften Jale und Himare, die die Einheimischen Gjiri Akuariumi nennen, das so viel heißt wie „Die Aquarium-Bucht“. Aber ich hatte sie verpasst, bin an ihr vorbeigepaddelt. Weil es noch sehr früh am Nachmittag war, hielt ich gemäß meiner Prioritätenliste nach einer anderen passenden Bucht Ausschau. Auf den nächsten 30 km bis zum Kepi Oefalit, passierte ich in einem Abstand von 2 bis 6 km vom Ufer weg einige bewohnte Strände und überquerte eine langgezogene Bucht, entdeckte aber keine geeignete Bleibe.

Auf halben Weg tauchte vor mir die griechische Insel Kerkira auf: Korfu stieg aus dem Meer, die legendäre Insel der Phäaken aus Homers Odyssee. Jedes Mal, wenn ich in den Jahren zuvor nach Igoumenitsa von der Fähre gekommen oder zum Fährhafen gefahren war, wollt ich nach Korfu hinüberpaddeln. Aber niemals hatte ich mir diesen Wunsch erfüllt. Regelmäßig hatte ich in mein Tagebuch geschrieben: „Nausikaa muss warten.“

Dieses Jahr sprang ich über meinen eigenen Schatten und besuchte Korfu. An einem Strand begegnete ich dann auch Nausikaa, der schönen Königstochter der Phäaken aus Homers Heldenepos: Sie war jung, ihr Körper perfekt, die Proportionen stimmten, blond und blaue Augen - wunderschön. Viele Griechinnen ließen sich ihr Haar blondieren, um ihrer Meinung nach attraktiver und begehrenswerter auszusehen - Blondinen-Effekt. Und ich lernte jetzt auch Alkinoos kennen, ihren sagenumwobenen Vater, der reiche, genussliebende König dieses Seevolkes, als die Schöne zu ihm sprach: „Papa ... gibst'e mir mal das Sonnenöl!“ Und das in einem perfekten köl'schen Dialekt.

Ja, wenn man noch genügend Phantasie besitzt und noch nicht von den privaten TV-Sendern gänzlich vereinnahmt worden und sein geistiges Niveau durch deren Sendungen noch nicht total vertrottelt ist (Dschungel-Camp lässt uns nicht locker und einem aktiven echten Outdoor-Freak sicherlich die Haare zu Berge stehen), hat man die Fähigkeit, sich in seiner Phantasie noch die schönsten Geschichten auszudenken und Seemannsgarn zu spinnen. - Aber die Paddeltouren auf den Spuren des Odysseus sind eine eigene Geschichte.

An mir pflügte eine Schnellfähre aus Venedig oder Ancona kommend vorbei und ich beobachtet genau, wo sie in dem Panorama zwischen dem Festland und der Insel, das wie ein einziger Küstenstreifen aussah, verschwand. Ich hatte schon mit dem Gedanken gespielt, gleich nach Korfu hinüberzupaddeln, aber es dann lieber sein lassen und eine letzte Nacht noch in Albanien vorgesehen.

Nachdem ich das Kap Oefalit umrundet hatte, erreichte ich in einer Bucht, die direkt gegenüber dem Leuchtturm auf der Grenzinsel Kaparelli zwischen Albanien und Griechenland lag, einen kleinen Sandstrand, der aber nicht zum Übernachten geeignet war. Vielleicht 100 m abseits fand ich eine ebene Steinplatte direkt über dem Meer, die für mein Lager groß genug war und von der aus ich meinen Kajak sehen konnte. So rollte ich Unterlage und Matte um  meinen Schlafsackbeutel und begab mich zu diesem Schlafplatz.

Die Schatten des Kaps hatten die Bucht schon eingehüllt und der Himmel füllte sich mit einem klaren Abendrot. „Regnen wird es sicherlich nicht“, murmelte ich, als ich mich in den Schlafsack einrollte. „Morgen sind es nur noch 10 km nach Griechenland.“

Hier endet mein Bericht von meiner Seekajak-Tour entlang der Küste Albaniens. Mit der Befahrung dieses Küstenabschnitts habe ich nun die Lücke geschlossen und jetzt die gesamte Strecke von der Holledau bis nach Venedig und vom Isthmus von Korinth aus, die Ägäis bis nach Rhodos auf eigenem Kiel erpaddelt. Für mich hat sich an diesem Tag ein Jugendtraum erfüllt.

 
5 - Ein wenig Statistik 

 

Zurückgelegte Strecke:
Ada, Montenegro - Kepi i Lagjit: 82,8 km
Kepi i Lagjit  - Gjiri i Ariut: 109,3 km
Gjiri i Ariut - Bucht hinter Kap Oefalit: 71,5 km
Gesamtstrecke Albanien: 263,6 km

Fahrzeit im Kajak:
Ada - Kepi i Lagjit: 16 h (minus Pause vor Durres ca. 1 h)
Kepi i Lagjit - Gjiri i Ariut: 16 h, 30 min
Gjiri i Ariut - Bucht Kap Oefalit: 14 h, 50 min (minus Pause in Dhermi und Bucht ca.1 h, 40 min)
Reinen Fahrzeit: 31 h, 30 min + 13 h, 10 min = 44 h, 40 min

Durchschnittsgeschwindigkeit: 5,9 km/h