KR-04 - Adria-Überquerung: Vorstellung von Optionen

 

verfasst 2011 - geändert am 17.05.2011

 

Seit Beginn meiner Seekajak-Touren im Mittelmeer habe ich von einer „Adria-Rundfahrt“ geträumt. Adria-Rundfahrt, das heißt für mich: von Venedig aus über Dalmatien runter in den Süden, dann irgendwo über die Adria und an der Küste Italiens wieder hoch nach Norden, zurück nach Venedig. Das Problem ist dabei die Querung der Adria. Bereits im Jahre 2002 habe ich begonnen, nach Möglichkeiten für diese Überfahrt zu suchen, damals noch ohne Internet und Google-Earth.

 

Folgende Varianten hatte ich ausgekundschaftet:

 

1 - Albanien - Italien

 

Die Überquerung von Albanien, Bucht Gjiri i Ariut (am Beginn der Mali i Karaburunit) aus, hinüber nach Otranto: 74,3 km, Kurs 246 Grad. Wegen der damaligen politischen Verhältnisse in Albanien war diese Möglichkeit ausgeschlossen. In der Presse, ich glaube es war während des Balkankrieges, hat es einmal einen Bericht gegeben, dass ein Flüchtling diese Route mit einem Paddelboot bezwungen hat. Es ist also durchaus machbar.

 

2 - Griechenland - Italien

 

Als Alternative habe ich die Überquerung von der Insel Korfu in Griechenland aus, über die kleine westlich gelegene Insel Othonoi, nach Otranto in Italien untersucht. Vom Cape Drastis bei Sidari auf Korfu zur Insel Othonoi: 23,6 km, Kurs 281 Grad und von Othonoi (Nordwestkap) nach Otranto: 82,1 km, Kurs 293 Grad. Diese Tour wurde bereits von Rainer und Franziska Ulm im Jahre 2001 mit zwei Einer-Faltbooten unternommen.

 

Wegen den großen Entfernungen von 74 km und 82 km habe ich diese Solotouren zurückgestellt. Außer- dem muss ich mit nordwestlichen Winden bis zu 5 Beaufort und Strömungen bis zu 0,5 Knoten aus der selben Richtung rechnen.

 

3 - Kroatien - Italien

 

Die Überquerung von der Insel Susac in Kroatien über die westlich gelegenen Inseln Palagruza, Pianosa, Tremiti nach Süden zum Beginn des Gargano in Italien oder alternativ von der Insel Palagruza zum Gargano nach Peschici in Italien. Von der Insel Susac zur Insel Palagruza: 43,6 km, Kurs 206 Grad, von Palagruza zur Insel Pianosa:45,5 km, Kurs 246 Grad, von Pianosa zur Insel Tremiti: 23,6 km, Kurs 242 Grad und von Tremiti nach Torre Fortore am Beginn des Gargano an der italienischen Küste: 23,8 km, Kurs 210 Grad, alternativ von der Insel Palagruza direkt zum Torre di Calalunga, östlich von Peschici am äußeren Gargano: 51,7 km, Kurs 199 Grad.

 

Diese Option halte ich für die am besten geeignete, eine Adria-Überquerung durchzuführen. Wegen der Winzigkeit der Insel Palagruza ist es aber unbedingt erforderlich, genau zu navigieren und Windverhält- nisse (Maistral), Wellenzug und Strömungen zu berücksichtigen und in den Kurs mit einzuarbeiten. Ich habe dabei an eine Vorlage nach Nordwest von rund 5 bis 10 Grad gedacht, um dann nach Erreichen einer gesicherten Position mit Wind, Wellen und Strömung direkt zur Insel zu paddeln.

 

Heuer (2011) im Frühjahr kontaktierte mich ein junger Kajaker aus einem Paddel-Forum, der ebenfalls die Querung von Kroatien über Palagruza in Augenschein genommen hatte. Ich gab ihm daraufhin einige Auskünfte und verwies auf den Thread „...mein Seekajakherz ausschütten...“ in dem Forum outdoor-seiten. net, in dem ich ebenfals die Beiträge veröffentlicht hatte, für weitere Informationen.

 

Die Mitteilung an ihn möchte ich hier gekürzt wiedergeben, weil sie von allgemeinem Interesse ist.

 

Textauszug:

 

... Die Insel Palagruza ist 90 m hoch (Leuchtturm) und 1,4 km lang. Von Susac nach Palagruza sind es knappe 44 km. Du wirst erst nach rund 10 km die Insel Palagruza sehen können, hervorragende Sicht vorausgesetzt. Das wäre noch durchzuführen. Aber die Strecke von Palagruza nach Pianosa beträgt knappe 46 km. Pianosa ist klein und sehr flach maximal 15 m hoch, mit dem Leuchtfeuer höchstens 30 m. Die Insel wirst Du erst nach rund 25 km bei ausgezeichneter Sicht sehen können. Außerdem hast Du mit Strömungen von rund 0,25 kn = 0,5 km/h und mit Wind und Wellen unbekannten Ausmaßes (ent- sprechend der Wetterbedingungen), alles aus Nordwest zu rechnen. Eine kleine Insel mit nur rund 500 m Sichtbreite zielsicher zu treffen, die auf dem halben Weg nicht zu sehen ist, setzt eine sehr genaue Navigation voraus unter Berücksichtigung all der Unwägbarkeiten die die Wetterlage mit sich bringt (Abdrift nach Südost).

Deshalb habe ich die Strecke Palagruza nach Pianosa aus Sicherheitsgründen wieder verworfen und an deren Stelle den Gargano mit der Ortschaft Peschici gesetzt, der meines Erachtens sicherer angesteuert werden kann (breite Front und sehr hoch). Paddelstrecke ist von Palagruza aus mit 51 km allerdings um 6 km länger, rund 1 Stunde Fahrzeit.  

 

Ich habe mir das von den Fähren aus mehrere Male angesehen, als sie an Palagruza vorbeigefahren sind. Aber selbst von der Fähre aus konnte ich den Gargano nur bei einer einzigen Passage sehen. Das war aber bei einer Augenhöhe auf dem oberen Deck der Fähre ...  

 

... Auf meiner Tour letztes Jahr von Grado nach Griechenland hatte ich in Prizba auf der Insel Korcula zufällig den ehemaligen Leuchtturmwärter von Palagruza getroffen. Der erzählte mir, dass er einmal eine holländische Kajak-Gruppe bewirtet hatte, die dieses Unternehmen durchgezogen hatte. Ansonsten wusste er von keinem anderen, der diese Kajak-Reise unternommen hätte ...  

 

Einige zusätzliche Ergänzungen möchte ich noch anführen.  

 

Die Verwendung eines GPS-Geräts halte ich nur als zusätzliche Hilfe für sinnvoll, keinesfalls als exklu- sives Navigationsmittel. Nicht nur der Ausfall (Verlust bei Sturm, Versagen durch Wassereinbruch, leerer Akku usw.) hätte verheerende Ausmaße, auch die mangelnden Navigationsmöglichkeiten. Zum Beispiel hätte das GPS bei Abdrift durch Wind und Strömung fatale negative Auswirkungen. Das GPS folgt mit der „goto-Funktion“ nämlich der „Hundekurve“ (siehe dazu meine Beitäge KT-07 - "Wie man Überfahrten meistert" und KT-08 - "Kommentar zu Überfahrten und zum Inselspringen"). Wenn die Insel Palagruza nicht getroffen wird und der Kajaker am Zielpunkt bereits vorbeigetrieben ist, zeigt das GPS nur die kürzeste Entfernung und deren Richtung zum eingegebenen Ziel an. Das ist identisch mit der Hundekurve, die man steuert, wenn das Ziel bereits sichtbar ist. Man will trotz der Strömung, dem Wind und den Wellen, die einen versetzen, immer auf das Ziel zuzufahren! Liegt das Abkommen bei Sturm über der Paddelgeschwindigkeit hat man verloren! Siehe dazu auch die einzelnen Beiträge und Erfahrungsberichte, die dieses spezielle Thema behandeln.

 

Wer nicht in der Lage ist, durch navigatorische Maßnahmen die äußeren Einflüsse bei seiner Kursberech- nung frühzeitig zu berücksichtigen, dem nützen weder Kompass noch GPS.

 

Einen weiteren Einwand bringen Kritiker dieses Unternehmens vor, indem sie auf den starken Fährverkehr durch die 6 Schifffahrtslinien hinweisen. Dazu ist folgendes anzumerken: Bei guter Sicht und nur dann ist eine Querung sinnvoll, erkennt man eine Schnellfähre bereits in rund 20 km Entfernung. Siehe dazu die Beiträge KT-10 - "Sichtweite, Teil 1" und KT-11 - "Sichtweite, Teil 2". Die maximale Geschwindigkeit beträgt bei diesen Fähren 31 Knoten, das sind 57,4 km/h. Für die 20 km benötigen diese Schiffe rund 21 Minuten. Man hat nun ca. 20 Minuten Zeit, um aus der Gefahrenzone herauszupaddeln. Das sind bei einer Paddelgeschwindigkeit von 5 km/h immerhin rund 1,5 km oder über 3 km, wenn man einen Spurt einlegt.

 

Wichtig ist dabei die richtige Einschätzung der Situation: Kommt die Fähre direkt auf einen zu, dann wird es höchsten Zeit, sich zu sputen oder man lege eine Pause ein und warte in aller Ruhe, bis die Fähre einen passiert hat. In beiden Fällen ist es keineswegs erforderlich, gleich eine weiße Signalrakete als „Achtung“ in den Himmel zu jagen, um auf sich aufmerksam zu machen.

 

Auf der Überfahrt im Jahre 2006 von der Insel Ägina zur Insel Fleves über den Saronikos Kolpos, eine der belebtesten Schifffahrtsstraßen im Mittelmeer, musste ich mich am Vormittag mit zahlreichen Fähren und Frachtern herumschlagen, die von Piräus, den anderen naheliegenden Häfen und von der Reede aus zu den einzelnen Inseln in der Ägäis aufgebrochen waren. Da war ein ständiges Stop-and-go angesagt und ich musste mich oft sehr kurzfristig entscheiden, ob ich noch an dem auf mich zurasenden Schnell-Katamaran vorbei komme oder ich lieber warten soll. Mit der nötigen Vor- und Umsicht und der sicheren Selbsteinschätzung meiner Leistungsfähigkeit war es aber kein großes Problem, diese Gefahrensituation zu meistern. Bei den rund 30 bis 35 Schiffen die mich auf den 16 Kilometern von Ägina nach Fleves während der rund 3 Stunden Überfahrt kreuzten, kam ich in keinem einzigen Fall in Bedrängnis noch hatte ich das Bedürfnis, mich bemerkbar zu machen.

 

Noch ein kleiner Hinweis, den ich immer wieder anführe: Der Seekajaker ist die kleinste Einheit auf dem Meer. Nur wenn er grundsätzlich auf die größeren Schiffe Rücksicht nimmt und ihnen aus dem Weg geht/paddelt, kann er absolut sicher sein, dass ihm auch nichts passiert!

 

Wenn mich heute jemand fragen würde, warum ich das Unternehmen „Adria-Querung“ nicht gemacht habe, würde ich ihm erklären, dass ich es mit über 60 Jahren wohl als ein Wagnis ansehe, solche Pas- sagen durchzuführen. Zu Beginn meiner Seekajakfahrten lag das Interesse jedoch mehr beim kurzen Inselspringen zu sichtbaren Eilanden in Dalmatien und in der Ägäis, als bei spektakulären Unternehmun- gen, die mit einem gewissen, wenn auch kalkulierbaren Risiko verbunden sind. In diesen Fällen wägte ich genau ab und entschied mich dann immer für die Sicherheit. Es gab bei meinen Solotouren mit dem Seekajak so vieles Neues zu entdecken, zu lernen und Erfahrungen zu sammeln, dass ich auf aufsehen-erregende Aktionen verzichten konnte. Siehe auch die Gefahreneinschätzung bei der Überfahrt zur Insel Thira/Santorin im 2. Abschnitt meines Beitrags KT-11 - "Sichtweite, Teil 2".

 

Ich muss im Ruhestand mit meinen Reisen auch nicht meine Brötchen verdienen. Dafür habe ich während meiner Berufstätigkeit rechtzeitig und ausreichend gesorgt. Und das Rampenlicht ist für mich auch nicht gerade die erstrebenswerteste Perspektive. Dafür kann ich jetzt auf meinen Reisen all die erlernten Kennt- nisse und Fähigkeiten einsetzen und ein autarkes Leben genießen. Das macht mehr Spaß, als mit einer dicken Rente all das erkaufen zu müssen, was ich jetzt selbst herstellen und reparieren kann. Ich würde daran verzweifeln, in meiner engsten Umgebung bis zum Schluss ausharren zu müssen und wie manche der tatenlosen Ruheständler nur einen „Zug durch die Gemeinde“, von einem Gasthaus zum anderen, zu Stande zu bringen.