KR-19 - Vom Umgang mit der Obrigkeit auf dem Balkan - Teil 5

 

verfasst 2012 - geändert am 03.12.2012

 

Mein Ziel Athen habe ich erreicht, bereits einen Monat vor dem Beginn der Olympiade. Ich habe das Argument: „Ich fahre zur Olympiade nach Athen!“ eigentlich nur verwendet, weil es einfach in dem Zeitfenster meiner Reise gelegen ist und so habe ich einen Bezug zu einem aktuellen Ereignis herstellen können. Das hat bei einigen Situationen im Umgang mit der Obrigkeit sicherlich Vorteile gebracht. Weil aber bei mir als „Soloreisender“ Menschenmassen grundsätzlich nicht zu meiner Reisephilosophie gehören und ich solchen Großveranstaltungen eigentlich aus dem Weg gehen will, habe ich meine Kajaktour, ohne der „Olympiade in Athen“ beizuwohnen, fortgesetzt.

 

Beim Hafen Piräus wollte ich zur Insel Salamis paddeln, um dem starken Schiffsverkehr aus dem Weg zu gehen. Genau in der Hafeneinfahrt, die ich überqueren musste, stoppte mich die Küstenwache, um mich aufzuklären, dies sei der Hafen und ich dürfe mich hier nicht aufhalten. Ich solle unbedingt in Küstennähe bleiben. Genau in diesem Moment verließ ein Frachter den Hafen und musste wegen des Küstenwachboots ausweichen, das in der Einfahrt des Hafens trieb. Hätte mich die Küstenwache weiterfahren lassen, hätte sie und ich das auslaufende Küstenmotorschiff wohl kaum behindert.

 

Kurz nach Paloukia, dem Fährhafen auf Salamis, machte ich auf dem Eiland Agios Georgios durch einen Damm mit dem Festland verbunden, bei einer neu gebauten Kapelle halt, aß eine Kleinigkeit und gab per Handy meine Position an meine Familie durch. Als ich geraden meinen Kleidersack in die Stauluke räumte, hörte ich hinter mir ein langsames ziehendes Schleifen von Metall auf Metall, dann ein schnelles beschleunigendes Schleifen und zum Schluss ein Klacken, wie wenn etwas in ein Schloss fällt.

 

Ich kannte das Geräusch von meinem Wehrdienst her. Es war das Fertigladen eines Gewehrs vom Typ „G 3“ von Heckler und Koch. Ich drehte mich um und sah einem jungen Soldaten in die Augen, mit seinem Gewehr im Hüftanschlag. Verwundert fragte ich ihn auf englisch, was das eigentlich soll. Zum Glück verstand er mein bayerisches Englisch und er erklärte, ich befände mich auf Militärgelände. Mit einem kleinen Schritt nach rechts und einen Blick auf die linke Seite seiner Waffe hatte ich feststellen können, dass der Sicherungshebel nicht auf „E“ oder „F“ stand, seine Waffe also nicht schussbereit war. Gut, dass es sich nicht um einen jener aggressiven Soldaten handelt, der John J. (James) Rambo nacheifert, dachte ich bei mir. Ich deutete auf die Kapelle und fragte, ob Gott in Griechenland auch ein Militär-General sei. Jetzt erkannte ich ein flüchtiges Lächeln in seinem Gesicht. Ich erklärte, warum ich an Land gegangen war und machte ihm den Vorschlag, ich würde alles zusammenpacken und einfach wieder verschwinden, dann wäre alles in Ordnung. Darauf erwiderte der Soldat etwas irritiert, das ginge nicht, er habe den Vorfall bereits weitergemeldet und wir müssen nun warten, bis sein Vorgesetzter komme.

 

Ein in „weiß“ gekleideter Offizier trat hinzu und teilte mir mit, ich müsse mich gedulden bis die Grenzpolizei erscheine, die bereits verständigt sei. Ich befände mich auf der größten Marinebasis Griechenlands, auf der zugleich das Hauptquartier seinen Sitz habe. Ich solle mich in diesem Moment als „Gefangener der Marine“ betrachten. Mir gingen alle Hiobsbotschaften durch den Kopf, die ich gehört hatte, auf militärischem Grund verhaftet zu werden. Das Warten dauerte eine ganze Weile. In der Zwischenzeit gaben sich mehrere Offiziere der Marinebasis die Hand. Alle waren neugierig, wer sich da auf ihrem Gelände so herumtrieb. Scheinbar hatte sie Langeweile. Ein Lastwagen kam, dann der Jeep der Grenzpolizei. Ich wurde aufgefordert, mit ihnen nach Paloukia in ihr Quartier zu kommen, das Boot würde mit dem Truck dorthin transportiert werden. Eingeklemmt zwischen zwei etwas schwergewichtigen Grenzpolizisten fuhren wir durch die gesamte Marinebasis. Für mich stellte das eine „Sightseeing-Tour“ der besonderen Art dar, die ich unter normalen Bedingungen hätte nie durchführen dürfen. An der Wache umringten viele Angehörige der Basis den Geländewagen - alle wollten schauen, wen die Grenzwache da abgeholt hatte.

 

Auch in der Station der Grenzpolizei war ich scheinbar die Attraktion. Der Soldat, der mich „festgesetzt“ hatte, war ebenfalls gekommen, in Zivil, vermutlich, um seine Aussage zu Protokoll zu geben. Wir saßen nebeneinander auf der Wartebank und ich versuchte, mich mit ihm ein wenig zu unterhalten. Komischerweise ging er auf meinen Smalltalk ein. Man bot jeden von uns eine Flasche Wasser an. Dann kam ein Offizier, der sehr gut deutsch sprach und das „Verhör“ begann. Dazu gesellte sich eine junge Offizierin mit ebenfalls vorzüglichen Deutschkenntnissen. Gefragt wurde ich das Übliche, auf das ich bereitwillig Auskunft gab. Dann erklärte ich, dass es mir nicht in den Sinn gekommen sei, dass sich eine neu errichtete Kapelle auf Militärgelände befinden könne. Gottes Botschaft habe ich eigentlich anders in Erinnerung. Beide Verhörenden nahmen es auch sehr wohlwollend auf, als ich absichtlich bemerkte, ich würde es absolut verstehen und es auch grundsätzlich für richtig heißen, dass der junge Soldat seiner Pflicht nachgekommen war. Auch ich hatte ja meinen Wehrdienst abgeleistet und war des Öfteren zum Wacheinsatz befohlen worden. Das Problem, eine richtige Entscheidung zu treffen, sei auch mir bekannt.

 

Nachdem ich meinen Pass vorgelegt hatte, sah man auf Anraten eines anwesenden Zivilbeamten (es könnte ein Vertreter der Staatsanwaltschaft gewesen sein) von weiteren Verhörmaßnahmen ab. Nach einer kurzen Besprechung kam auch der Schichtleiter in Funktion als wachhabender Offizier und belehrte mich auf englisch, dass ich zwar militärisches Gelände betreten habe, es aber offensichtlich unbeabsichtigt geschehen sei. Scheinbar hatte der griechische „Militärgott“ in der kleinen Kapelle ein Einsehen mit mir gehabt. Dann erklärte der Wachhabende weiter und es klang schon fast wie eine Entschuldigung, dass man hier in der Umgebung wegen der großen Marinebasis und der bevorstehenden Olympiade in Athen in diesen Tagen sehr vorsichtig sei, denn es habe bereits etliche Terrorwarnungen gegeben. Die Offizierin setze ein bezauberndes, entwaffnendes Lächeln auf und ergänzte in einem akzentfreien Deutsch: „Ach wissen Sie, mit ihrem leichenblonden Bart schauen sie eigentlich aus wie Ajatollah Khomeini. Da ist es doch kein Wunder, dass Sie als Terrorist auf einer Marinebasis verhaftet worden sind.“ Ich musste grienen. Nachdem sie die kleine Bemerkung ihren Kollegen auf griechisch erzählt hatte, lachten alle ... und das Eis war gebrochen.

 

Jetzt holte der Offizier eine Seekarte hervor und erklärte mir, wie ich mich in der markierten Passage durch das militärische Sperrgebiet in der Meerengen zwischen Salamis und dem Festland genau bewegen könne und nicht über die Begrenzungsbojen des Kanals fahren dürfe. Als ich ihm von der kleinen Begegnung mit der Küstenwache am Hafen von Piräus erzählt hatte und ich meinte, ich sei eigentlich nur diesen Anweisungen gefolgt und habe mich küstennah aufgehalten, begann er zu grinsen. „Ist vermutlich in Deutschland genauso, dass eine Institution von der anderen nichts weiß“, kommentierte er meine Ausführungen und ich konnte ihm mit einen Nicken nur zustimmen.

 

Zum Schluss inspizierte der deutsch sprechende Offizier und der gesamte Rest der Grenzwache meinen Kajak, vermutlich mehr aus Interesse als aus Pflichterfüllung. Ganz offiziell fragte er mich, ob ich Drogen dabeihabe. Ich erklärte ihm, dass ich lediglich reinen weißen Raffinadezucker mitführe, um meine Energiereserven am Nachmittag aufzufüllen, anstelle des teuren Traubenzuckers. Ich zeigte ihm eine fast leere Plastikflasche mit weitem Hals, schraubte sie auf und er konnte eine Probe entnehmen, die er tatsächlich als Zucker definierte. Eine weitere Plastikflasche lag in der Sitzluke mit der gleichen Verschlussfarbe, die sich ebenfalls als Zuckerbüchse entpuppte. Sie lag bereits als Reserve für die fast leere Dose in der Sitzluke.

 

Nun entdeckte mein Offizier noch eine identische Plastikflasche mit einer anderen Deckelfarbe und wollte natürlich auch diese kontrollieren. Ich wurde ein wenig verlegen und mein Kopf musste einen leicht rötlichen Stich angenommen haben, als ich ihm erklärte, dass diese Flasche leer sei und einem anderen Zwecke diene. Scheinbar ist in meinem Gegenüber die Skepsis erwacht, denn er bestand darauf, diese Flasche ebenfalls zu überprüfen, trotz aller Gegenwehr meinerseits. Aber er ließ sich nicht davon abbringen. Zum Schluss gab ich auf und erklärte: „Gut, Sie können die Flasche kontrollieren. Aber nur auf Ihre eigene persönliche Verantwortung!“ Natürlich war der Offizier einverstanden, sein Jagdinstinkt war jetzt erwacht. Ich schraubte den Deckel ab und reichte ihm die Flasche. Er nahm sie, schaute hinein. Dabei musste ihm ein Geruch in die Nase gestiegen sein, den er absolut nicht vertrug. Er verzog dermaßen sein Gesicht, dass alle Anwesenden zu ihm hinschauten und die Unterhaltung der anderen urplötzlich verstummte. Während er mir angewidert die Flasche zurückgab und ich schnell wieder den Deckel aufschraubte, meinte ich nur: „Ich habe Ihnen doch gleich gesagt, nur auf Ihre eigenen Verantwortung! Das ist nämlich meine Pinkelflasche und in der griechischen Sonne bei 40 Grad im Schatten, da kann man sie noch so sauber ausspülen, nach einiger Zeit der Benutzung entsteht halt ein entsprechendes Geschmäckle ...“

 

Der Offizier begann lauthals zu lachen und als er den gesamten Vorgang dann seinen Leuten auf griechisch erzählte, steckte sein Lachen die andern an. Es mussten einige entsprechend böse Bemerkungen gefallen sein, denn das Gesicht des Offiziers nahm ebenfalls eine leichte rötliche Färbung an. Aber er schien darüber zu stehen, als er lächelnd meinte, die Kontrolle sei nun beendet. 

 

Zum Schluss trug man meinen Kajak zum Hafenbecken und ließ ihn zu Wasser und der Offizier bat mich, unbedingt die rote Schwimmweste anzuziehen, damit ich in der schmalen Fahrrinne die restlichen zwei Seemeinen besser gesehen werde. Alle verabschiedeten mich sehr freundlich. Ich bedankte mich bei den beiden deutsch sprechenden Beamten mit Handschlag für die gute Übersetzung und ihre außerordentliche Hilfsbereitschaft in dieser Angelegenheit, stieg ein und fuhr ab. Akribisch hielt ich die mir vorgegebene Route ein, so wie ich es versprochen hatte. Andere Schiffer sahen das schon lockerer und fuhren auch außerhalb der Begrenzungsbojen. Das waren aber Griechen.

 

Einige Tage später war ich in Isthmia am Kanal von Korinth angelangt. Die Berater in der Kundenabfertigung erklärten mir auf englisch, wieder wie ein Jahr zuvor auch, dass ich aus Sicherheitsgründen nicht selber durch den Kanal fahren dürfe, ich aber in rund einer Stunde eine Mitfahrgelegenheit auf einem Pilot-Boot bekommen werde. Ich fragte sicherheitshalber nach dem Tarif. Da stutzte der Kundenbetreuer ein wenig und fragte: „Mit einem gelben Kajak? 45 Euro? Waren Sie letztes Jahr schon einmal hier? Ja - also doch!“ und ich erhielt als Antwort: „OK, tax free! Ja, ich kann mich noch erinnern, obwohl ich Sie noch nie gesehen habe! Sie sind damals das Tagesgespräch gewesen, in unseren Kneipen ... von Venedig bis nach Bari und dann von Igoumenitsa bis hierher, mit einem „Canoe“ und dann noch weiter, erzählen Sie mal.“ In der Zwischenzeit sind immer mehr Bedienstete der Kanalverwaltung zusammengekommen. Während ich auf den Schlepper wartete, gab ich meine Geschichte von der Weiterfahrt vor einem Jahr preis ... dass ich bis runter nach Rhodos ohne Fähre gepaddelt war, dann die Südküste von Kreta befuhr, die halbe Peloponnes von Gythio bis nach Patras umrundete. Auch meine heurige Reise umschrieb ich in groben Zügen und dass ich wieder hoch nach Igoumentisa möchte, um von dort mit einer Fähre nach Venedig zu gelangen ...

 

Die kleine Vorgeschichte aus dem Jahre 2003, entsprechend meinem Tagebuch: Als ich durch den Isthmus von Korinth zum ersten Mal von West nach Ost fahren und ich blauäugig in den Kanal hineinpaddeln wollte, hielt mich die Aufsicht bei der Einfahrt zurück. Gerade als ich die versenkte Brücke passiert hatte, erschallte ein Pfiff und der Brückenwart fuchtelte aufgeregt mit den Armen. Er erklärte mir auf englisch, dass ich den Kanal so nicht benutzen dürfe, weil erstens ein Frachter mir entgegenkomme und zweitens der Kanal grundsätzlich für motorlose Sportboote gesperrt sei. Er verwies mich an den Tower, ich solle dort meine Passage abklären. Also paddelte ich an den Strand, bootete aus und begab mich zu dem Turm, stieg die Treppe hinauf, klopfte an die Tür und trat ein. Zwei Männer in weißen Uniformen hatten Dienst und hörten sich geduldig mein Anliegen an. Scheinbar hatten sie solch ein Problem noch nicht, denn sie setzten sich telefonisch mit der Zentrale der Kanalgesellschaft auf der anderen Seite des Kanals in Verbindung und erkundigten sich, welche Optionen möglich seien. Als Ergebnis ihrer Ermittlungen war ein Angebot für einen Transfer auf einem Schlepper für 45 Euro. Was blieb mir da noch übrig, als auf die Offerte einzugehen. Trotzdem begann ich ein wenig zu feixen. Ich erklärte ihnen, dass ich in Grado/Venedig gestartet sei und mir die Überfahrt auf der Schnellfähre von Bari nach Igoumenitsa mit rund 360 km nur 48 Euro gekostet hatte, die 6 km Kanal aber 45 Euro kosten sollen. Die Leser der Zeitung in der ich meine Erlebnisberichte veröffentliche, würden nur noch den Kopf schütteln über das griechische Verhältnis von Geld zur Leistung. Natürlich spöttelten sie auch zurück und meinten, wenn der Kajak 1000 Euro kosten würde, könnten sie ohne weiteres auch 500 Euro für die Passage verlangen, wenn ich die rund 350 km um die Peloponnes ablehne. Oder ich könnte auch den Kajak über den Berg tragen. Naja, es würde sicherlich auch private Trucks geben, die das erledigten könnten, gab ich zu bedenken und ergänzte, dass das sicherlich im Beipack mit einem Trinkgeld zu machen sei und außerdem habe ich ja sowieso vor, auf meiner Rückreise um die Peloponnes zu paddeln. So ging es noch eine Zeit lang weiter, auch noch unten am Strand, weil die beiden Offiziellen sich mein Boot anschauen wollten, um es zu taxieren. Als der Schlepper am Kai anlegte, hatte ich den Kajak in der Zwischenzeit dorthin geschleift. Nachdem mir die Matrosen geholfen hatten, den Kajak auf den Schlepper zu verladen, kam einer der beiden Verhandlungspartner, klopfte mir auf die Schulter und erklärte, der Transport sei frei, ich müsse nichts bezahlen. Scheinbar hatten er mit dem Crewchef verhandelt. Die Besatzung hole einen russischen Frachter ab und geleite ihn durch den Kanal und nähme mich nun als „Beipack“ mit. Die fünf Männer waren äußerst freundlich, erklärten mir alles auf ihrem Schlepper, beantworteten geduldig meine Fragen und boten mir alles mögliche an: Kaffee, Wasser, Cola, Zigaretten, usw. Ich lehnte aber dankend ab. Ich war schon froh, mit der Durchfahrt so glimpflich davon gekommen zu sein. Am anderen Ende des Kanals half mir die Besatzung erneut und trug den Kajak bis zur Treppe, die ins Wasser führte. Ich wollte meinen Helfern einen Schein für eine Runde Bier geben. Aber sie nahmen ihn nicht an, auch der Bootsführer lehnte ab. Als ich einem Matrosen aber demonstrativ das Geld in die Brusttasche steckte, wurde es akzeptiert. Winkend verabschiedeten wir uns voneinander. Es war für mich ein sehr beeindruckendes Erlebnis, meine erste Durchfahrt durch den Kanal von Korinth, wenn auch nur huckepack und die direkte Begegnung mit griechischen Seeleuten.

 

Auch der Schiffsführer des Schleppers der mich jetzt abholte, erinnerte sich noch an mich, obwohl ich auch ihn zum ersten Mal gesehen und gerade kennen gelernt hatte. Der Transfer verlief reibungslos: Ich hatte den Kajak bereits an den selben Steg gezogen, wie voriges Jahr, die schweren Flaschen und die Büchsen in Plastiktüten verpackt und das Paddel von der Sicherungsleine abgeknotet. Fast alle Crewmitglieder halfen, den Kajak an Bord zu tragen. Das Pilotboot hatte durch den Kanal eine Freifahrt, weil es erst auf der Westseite einen Frachter „anleinen“ musste. Das Ausladen passierte an der selben Stelle wie letztes Jahr das Einladen, Der Schiffsführer fragte mich, auf welche Seite des Kanals ich das Boot haben wolle und ich erwiderte, an die Seite, an der es die wenigsten Umstände mache. Wieder hatte ich Probleme, mein Trinkgeld loszuwerden. Alle Matrosen sträubten sich, den Schein anzunehmen, ich musste ihnen sogar nachlaufen. Zum Schluss schob ich meinen Obolus einem wieder in die Tasche.

 

Noch einmal begegneten wir uns, als ich den Kanal queren wollte und ich das Pilotboot mit dem Frachter im Schlepptau vorbeituckern ließ. Wir winkten uns zu und die gesamte Besatzung stand an der Reling. Sogar der Steuermann winkte aus seinem Führerstand.

 

Fazit:

 

Im Gegensatz zur landläufigen und mit Vorurteilen behafteten Meinung breiter Bevölkerungsschichten in Deutschland gegenüber den Balkanstaaten habe ich eigentlich im rein menschlichen Bereich und auch im Umgang mit der „Obrigkeit“ eine sehr gegenteilige und äußerst angenehme Erfahrung gemacht. Die Menschen in ihrer Mentalität und ihr Verhalten gegenüber ihren europäischen Nachbarn unterscheiden sich im zusammenschmelzenden Europa kaum mehr. Die Gastfreundschaft auf dem Balkan ist noch sprichwörtlich und wird sicherlich auch noch bleiben, solange wir sie nicht überfordern und ungebührlich ausnützen. Allerdings gibt es noch gewisse Unterschiede in den politischen und wirtschaftlichen Ausrichtungen zwischen Nord- und Süd-Europa und insbesondere im religiösen Bereich (Christentum / Islam / Orthodoxe Kirchen). Je mehr wir uns aber im vereinigten Europa begegnen, reisen (Tourismus), trekken (Outdoor), persönliche Kontakte pflegen, Freundschaften schließen, miteinander kommunizieren, Meinungen austauschen, sich gegenseitig Respekt erweisen und uns nicht von demokratiefeindlichen Extremisten und missionarischen Fundamentalisten manipulieren lassen, um so schneller wachsen wir gesellschaftlich zusammen und überwinden die uns noch trennenden politischen und religiösen Gräben. Meines Erachtens haben gerade wir „Individualreisende“ dabei einen sehr großen Einfluss auf diese Entwicklung, weil wir mehr auf die einheimische Bevölkerung im jeweiligen Gastland zugehen, abseits der abgekapselten Touristenscharen am mediterranen „Teutonengrill“.

 

Gut, „geschäftstüchtig“ sind sie, die Bewohner des Balkans, vielleicht sogar ein wenig schlitzohrig. Aber wer ist heute nicht auf seinen eigenen Vorteil fixiert? Man muss derzeit nur googeln, nach der geldgierigen Geisteshaltung unserer Banker und Aktionäre im alten Kerneuropa (Zockermethoden, Wetten auf den Zusammenbruch des Euros und auf Bankrotterklärungen von europäischen Staaten usw.), nach der gemeinschaftsschädigenden Denkweise unserer deutschen Steuerflüchtlinge (geschätztes, transferiertes Kapital, allein in die Schweiz, weit über 100 Milliarden Euro), nach der sozialen Hängematte einiger arbeitsunwilliger, bildungsferner Empfänger von Hartz-IV, insbesondere deren betrügerischen Missbrauch durch falsche Angaben und zusätzlicher Schwarzarbeit (rund 177.000 Straf- und Bußgeld-Verfahren im Jahre 2011, 227.000 ein Jahr zuvor) oder nach der Jagd auf Sonderangebote bei den Deutschen (Ein Beispiel sind die stark frequentierten Schnäppchen-Threads in den einzelnen Foren.). Jeder kann dann feststellen, dass die menschlichen Unterschiede innerhalb Europas gar nicht mehr so groß sind.